Eltern, bremst eure Ängste ein!

Beginnt ein Kleinkind zu gehen, freuen sich alle. Geht es um die Jobwahl des Kindes, schreiben viele Ängste mit, sagt Ali Mahlodji. Bei ihm suchen zu diesem Thema Jugendliche und Eltern Rat. Oft empfiehlt er mehr Entspanntheit – und zwar den Eltern.

Herr Mahlodji, was hat Ihnen Ihre Mutter für Ihr Leben mitgegeben?
ALI MAHLODJI • Sehr viel, auch wenn ich früher immer gedacht habe, meine Mutter sei beinhart und die Mütter anderer Kinder seien viel netter. Heute kann ich sagen, dass meine Mutter liebevoll gehandelt hat. Sie hat mich gelehrt, dass jede Entscheidung im Leben Konsequenzen hat. Damals, als ich ihr mitgeteilt habe, ich werde die Schule hinschmeißen – kurz vor der Matura -, drohte sie mir, mich aus der Wohnung zu werfen. Sie meinte, das mit dem Schulabbruch sei zwar meine Entscheidung, doch ich sei nun fast volljährig und müsse dann auch mit den Konsequenzen leben. Sie werde nicht ewig da sein und wenn ich nicht jetzt lerne, zu meinen Entscheidungen zu stehen, werde ich das nie tun. Das hat mich gerettet.

Was war Ihre Konsequenz aus diesem Gespräch? Sind Sie weiter zur Schule gegangen?
A M • Nein, aber ich war gezwungen, zu sehen, wie viel ich dann doch kann. Damals hatte ich kein Selbstbewusst- sein und dachte, ich sei der größte Idiot. Das, was ich konnte, kam erst dadurch zutage, weil meine Mutter mich ins kalte Wasser geworfen hat. Im Nachhinein könnte man sagen, meine Mama war tough. Doch in Wahrheit hat sie sich nicht mehr zu helfen gewusst. Sie hat diese Strenge aber kon- sequent durchgezogen! Und sie hat mir noch eine wichtige Sache mitgegeben, sie meinte: „Ali, du kannst machen, was du willst. Auch wir Erwachsene wissen nicht, wie die Welt in zehn Jahren aussieht.“ Sie hat mich also mit ihren Ängsten, was meine Zukunft betrifft, verschont.

Meinen Sie damit, dass Eltern ihren Kindern ruhig mehr zutrauen könnten?
A M • Zu mir kommen oft Eltern, die mich um Rat fragen, wenn es um die Wahl des richtigen Berufes geht. Meine Gegenfrage lautet: „Warum sind Sie bei mir und nicht Ihr Kind?“ Ich kenne El- tern, die gehen mit ihrem 22-jährigen Kind mit zur Uni, um das passende Studium zu finden! Mein Rat an Eltern ist der, ihren Kindern Entscheidungen mit einer Selbstverständlichkeit zuzu- trauen, wie sie ihnen auch das Gehen lernen zugetraut haben. Und da tun sich viele Eltern schwer.

Warum reagieren viele Eltern, wie sie reagieren?
A M • Denken wir doch an unsere eigene Schulzeit zurück, was wir da alles gehört haben, etwa, dass die Matura das Wichtigste ist und man damit
auf das Leben vorbereitet ist. Wir alle kennen den Druck und die Erwartungen, die wir in der Schule hatten. Und wenn das eigene Kind in dieses Alter kommt, kommen auch die eigenen Erinnerungen an die Schulzeit zurück. Dann beginnen die Eltern, ihre Kinder vor diesen Erfahrungen bewahren zu wollen. Das ist aber nicht möglich. Die eigenen Ängste werden also auf die Kinder weitergegeben. Für die Eltern ist es wichtig, das zu realisieren. Man müsste die Frage nach dem passenden Job andersherum stellen: Statt für das Kind mitzuentscheiden, was es in zehn Jahren beruflich machen soll, sollte man Eltern bitten, sich in die Rolle eines 17-Jährigen zu versetzen und zu fragen, was man selbst gern tun würde. Fakt ist: Niemand weiß, welche Jobs es in zehn Jahren geben wird – aber ein Kind sollte das wissen!?

Mütter sind ja oft die stillen Mache- rinnen im Hintergrund. Kindererziehung, die ganze Care-Arbeit hat ja in unserer Gesellschaft wenig Stellen- wert. Was geben Mütter ihren Kindern mit – oft ohne sich darüber im Klaren zu sein?

A M • Meine Mutter war Alleinerziehe- rin, sie hat uns viel Verantwortungsbewusstsein mitgegeben und die Freiheit, zu denken, dass alles möglich ist. Doch es kommt auf die Familienkonstellation an, darauf, wieviel Selbstwert die Erziehungspersonen haben und neben- bei: Es gibt heute genauso Männer, die Kinderwägen schieben und sich in der Erziehung stark machen. Ich denke, im klassischen Familiengefüge bekommt man als Kind von der Mutter mit, dass sie immer funktioniert, dass auf sie einfach Verlass ist. Auf der anderen Seite ist dieses Bild, dass sich die Frau um alles kümmert, problematisch, weil es dazu beiträgt, Rollenklischees zu festigen, etwa, dass Frauen im Sozialen stark sind, aber weniger in technischen Belangen. Doch diese Rollenbilder werden von der Familie gelebt und weitergetragen. Damit werden die Fähigkeiten von Frauen unterschätzt. Ein Beispiel: Die Corona-Krise hat gezeigt, dass jene Länder, die von Frauen geführt wurden, besser durch die Krise kamen. Der neue US-Präsident Biden setzt für hochkritische Themen Frauen ein. Im Harvard Business Review for Leadership ist zu lesen, dass Frauen in manchen Themen mit weniger Ego hineingehen und mehr miteinander agieren, also das einsetzen, was sie oft zuhause gelernt haben. Bei solchen traditionellen Rollenzuschreibungen muss man jedoch aufpassen und sie vor allem nicht verkürzen.

Was sind heute so die Schwierigkeiten im Verhältnis Kind – Eltern in der Praxis?
A M • Homeschooling hat gezeigt, dass manche Eltern kein Verständnis dafür haben, was es bedeutet, ein Schüler oder eine Schülerin zu sein. Sie wur- den zu Arbeiten im Haus eingeteilt, die Eltern sahen aber nicht, dass Schüler- bzw. Schülerinsein auch ein Job ist! Immerhin müssen sich die Kinder und Jugendlichen nun selbst um ihre schulischen Angelegenheiten kümmern. Ihre Herausforderungen damit werden und wurden oft nicht ernst genommen. Leider haben viele Eltern nicht gelernt, ihr Kind zu begleiten und die Neugier- de am Leben zu erhalten.

Das betrifft vermutlich auch die Berufsausbildung?
A M • Ja. Was ist denn falsch daran, dass ein Kind Youtuber werden will? Wissen Eltern überhaupt, was ihre Kinder können? Das frage ich Eltern oft, die klassische Antwort ist: „Ich will nicht, dass mein Kind enttäuscht ist“. Wenn Eltern nicht mehr zulassen, dass ihre Kinder enttäuscht sein könnten und ihnen alle Hürden aus dem Weg räumen, ruinieren sie mehr, als sie gutmachen. Klar, sie tun das, weil
sie selbst Angst haben. Doch da sind wir wieder am Anfang: Kinder und Jugendliche müssen mit Herausforderungen und Hürden umgehen lernen und sie müssen wissen, was es heißt, geduldig zu sein. Der in diesem Zusammenhang so gern gehörte Spruch, dem Kind solle es einmal besser gehen als einem selbst, ist ein Glaubenssatz, der in der Nachkriegszeit erfunden wurde. Der hat heute keine Gültigkeit mehr.

Der so gern gehörte Spruch, dem Kind soll es einmal besser gehen als einem selbst, ist aus der Nachkriegszeit und hat heute keine Gültigkeit mehr.

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