Misserfolge machen mutiger

Rüdiger Maas, Generationenforscher und Autor aus Augsburg, zeichnet in seinem neuen Buch Generation lebensunfähig ein beunruhigendes Bild einer Jugend, die immer weniger mit Frustration umgehen kann. Im Interview verrät er, wie Eltern ihre Kinder am besten unterstützen. Spoiler: Weniger ist mehr!

Überbehütet in der realen Welt, alleingelassen in der digitalen

Das ist die Generation Z, jene Jugendlichen, die 1995 oder später geboren sind. An seinem Institut für Generationenforschung beschäftigt sich der deutsche Psychologe Rüdiger Maas seit Jahren mit dem Phänomen einer Jugend, die vermeintlich alles hat und doch nicht zufrieden ist.

Wir sprachen mit ihm darüber, warum es so wichtig ist, dass Jugendliche auch negative Erfahrungen machen dürfen und Eltern nicht versuchen sollten, die besten Freunde ihrer Kinder zu sein.

Zukunft meistern: Herr Maas, die Generation Z ist diejenige, die nun in die Arbeitswelt einsteigt – was kennzeichnet diese jungen Menschen? 

Rüdiger Maas: Dies ist die erste Generation, die mit Social Media groß geworden ist – sie kann sich eine Welt ohne Internet nicht mehr vorstellen, so wie wir uns eine Welt ohne Schrift nicht mehr vorstellen können. Und diese Jugend ist in einen absoluten Wohlstand hineingeboren worden, alles war möglich. Der soziodemografische Wandel spielt diesem Wohlstand noch in die Karten: Viele Menschen gehen in Pension, weniger rücken nach, die Jugend von heute kann sich ihren Arbeitgeber aussuchen. Dazu kommt noch eine riesige Auswahl an Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten.

Aber diese Fülle an Ausbildungen macht die Wahl ja nicht unbedingt leichter. 

Rüdiger Maas: Wir sprechen tatsächlich von einer Optionsdepression: Wenn die Auswahl zu groß ist, hat man oft nicht das Gefühl, dass man für sich das Allerbeste herausholen konnte. Man zweifelt hinterher immer wieder, ob man sich nun wirklich für das Optimum entschieden hat; darum tut sich die Generation Z auch so schwer mit Entscheidungen – im Schnitt braucht ein Generation-Z-Mensch 18 Minuten, um in Netflix eine Sendung auszuwählen. Diese unendliche Vielfalt macht halt die Leute auch nicht glücklicher: Wenn man seinem Kind heute vier Adventkalender schenkt, dann entwertet man natürlich auch alle vier. Aber so ist die Generation Z aufgewachsen.

„Die vielen Möglichkeiten, aus denen Jugendliche heute wählen können, machen sie nicht glücklicher.“

Was sind denn die Stärken und Schwächen der Generation Z?

Rüdiger Maas:Die Stärken sind ein höheres Liberalitätsverständnis, eine höhere Moral und in der analogen Welt ein höheres Regelverhalten – man hält sich mehr an Regeln und Vorgaben, fordert dies aber im Gegenzug auch von allen anderen ein. Dadurch wirken diese jungen Menschen auf uns oft konservativ. Doch in der digitalen Welt wollen sie am liebsten gar keine Vorschriften. Durch den Wohlstand und auch, weil die Eltern sich nicht zur Abgrenzung eigneten, sondern beste Freunde und Berater waren und sind, kommt bei vielen auch eine geringe Frustrationstoleranz dazu – diese Generation ist weit weniger offen für Kritik als die davor.

Eltern: die besten Freunde? 

Zukunft meistern: Und wie kann man die Eltern dieser Jugendlichen beschreiben? 

Rüdiger Maas: Die wollen am liebsten die besten Freunde ihrer Kinder sein und sind teilweise sogar eifersüchtig auf die anderen besten Freunde ihrer Kinder. Sie passen sich den Kindern an, hören die gleiche Musik, ziehen sich gleich an. Die Eltern sind die größten Fans ihrer Kinder. Sie können und wollen nicht mehr loslassen. Mittlerweile nimmt das teils skurrile Formen an: Dass Eltern in einer Vorlesung neben ihren Kindern sitzen, mitgehen zum Bewerbungsgespräch oder mitentscheiden, ob die Arbeitsstelle die richtige ist, ist keine Seltenheit mehr.Das alles gilt allerdings nur für die analoge Welt. In ihren Rückzugsräumen in der digitalen Welt lassen die Eltern ihre Kinder völlig allein. Da findet das Gegenteil dieser Überbehütung in der realen Welt statt. Man nutzt zwar die sozialen Medien, um zum Beispiel über WhatsApp oder Instagram Kontakt zu halten, aber die Kinder haben dann oft noch weitere Instagram-Accounts, von denen Mama und Papa nichts wissen sollten. Die würden ihren Kindern das ziemlich übelnehmen, denn beste Freunde haben ja keine Geheimnisse. Dabei vergessen sie, dass sie ein Kind vor sich haben, das Rückzugsräume braucht und eben nicht der beste Freund, sondern in erster Linie Tochter oder Sohn ist.

Negative Erfahrungen machen stark

Zukunft meistern: Wie können Eltern nun ihre Kinder unterstützen, wenn sie vor der Entscheidung Schule oder Lehre, oder Lehre mit Matura stehen? 

Rüdiger Maas: Die Frage ist, wieso müssen sie denn immer unterstützen? Die Kinder müssen doch auch einmal selber lernen, bestimmte Dinge zu bewältigen, zu entscheiden, sich etwas aufzubauen – natürlich in einem bestimmten Rahmen. Die Eltern sollten sich mehr um die digitale Welt kümmern und die Kinder in der analogen Welt einfach mehr machen lassen. Auch negative Erfahrungen oder Misserfolge können Kindern Ressourcen geben, sie stärken und helfen, Resilienz aufzubauen. Dieses ständige Bespaßen und der Versuch, das Optimum für die Kinder herauszuholen, bewirkt leider oft das Gegenteil: Wir wissen, dass die unglücklichsten Menschen jene aus der Generation Z sind – da stimmt doch was nicht! Das liegt genau daran, dass wir den Kindern sämtliche Erfahrungen nehmen. Ich kann ja gar nicht mehr stolz sein, wenn ich etwas geschafft habe, wenn Mama mich nie etwas alleine machen lässt; wenn ich für alles gelobt werde, dann hat es doch keine Bedeutung mehr für mich.

Corona und die analoge Welt

Zukunft meistern: Welche Auswirkungen hat Corona auf diese Generation? 

Rüdiger Maas: Das Alter zwischen 15 und 25 ist ja genau die Zeit, wo man alles viel intensiver wahrnimmt – da ist natürlich viel verloren gegangen. Man muss auch mal eine Lanze brechen für die Jüngeren, die haben ja überall mitgemacht. Es sind ja kaum Demos oder heimlich Partys von Jüngeren bekannt. Die Kinder waren oft sogar dankbar für diese Maßnahmen und Restriktionen, weil ihnen das Sicherheit gegeben hat. Zugleich ging auch das Training der analogen Welt noch mehr verloren. Einige junge Leute fanden den Lockdown sogar gut, weil sie dann nicht mehr erklären mussten, warum sie nicht rausgehen. Es gab noch nie so viele Jugendliche, denen es so schwerfällt, unbekannte Menschen anzusprechen oder jemanden anzurufen. 50 Prozent der Bürger in Deutschland und Österreich lernen sich mittlerweile zuerst digital kennen. So jemand tut sich natürlich in einem Job zum Beispiel im Vertrieb extrem schwer.

Ihr Rat an Eltern

Zukunft meistern: Was können Eltern konkret tun, um ihre Kinder auf das Leben vorzubereiten? 

Rüdiger Maas: Wir sollten viel gechillter werden – mehr Bauchgefühl zulassen, die Kinder auch mal Langeweile aushalten lassen. Die Arbeit findet halt nun mal analog statt, der Arbeitgeber steht in der realen Welt vor einem und übt Kritik. Da braucht es auch mal Durchhaltevermögen. Und auch Eltern dürfen Fehler machen, das darf man sich auch zugestehen. Es gibt ja nicht die eine perfekte Erziehung für alle Kinder.

Generation lebensunfähig“ ist im Verlag YES erschienen und kostet 20,60 Euro.

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